© 2007–2025 Patrick Müller
Inhaltsverzeichnis/Table of Contents
12.11.2024 Q&A AUS DER TIEFE: 16mm-Gedichtfilme von Patrick Müller | 38. Int'l Filmfestival Braunschweig
15.09.2023 Q&A INTO THE REALM OF THE NIGHT with Breven Warren | 14th FESTIVAL ANGAELICA
07.12.2020 Q&A BLINK OF NEON EYES with festival director Vivian Martinez | 12th FESTIVAL ANGAELICA
06.12.2019 Q&A EIGENTLICH IST DAS KEIN FILM | 10. Zebra Poetry Film Festival
24.11.2019 Q&A Filmkonzert WELLENVORM + PATRICK MÜLLER | 34. Int'l Filmfestival Braunschweig
16.11.2018 Q&A SÄV, SÄV, SUSA | 18. Flensburger Kurzfilmtage
20.10.2017 Q&A THE COLOUR OUT OF SPACE | 31. Int'l Filmfestival Braunschweig
21.10.2017 Q&A WALPURGISNACHT | 31. Int'l Filmfestival Braunschweig
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Q&A zur Sonderveranstaltung AUS DER TIEFE: 16MM-GEDICHTFILME VON PATRICK MÜLLER als Sonderveranstaltung auf dem 38. Internationalen Filmfestival Braunschweig am 12.11.2024. Clemens Williges (C) und Dr. Christoph Seelinger (S) interviewten Patrick Müller (P) zu seinen Filmen WALPURGISNACHT, SÄV, SÄV, SUSA, SPELLBOUND, INTO THE REALM OF THE NIGHT und seiner Lovecraft-Trilogie.
C:
Zunächst möchte ich erwähnen, dass dies eine Kooperationsveranstaltung mit der TU Braunschweig ist, dem Institut für Germanistik, und da möchte ich gerne unseren Kooperationspartner Dr. Christoph Seelinger auf die Bühne bitten.
S:
Auch von mir herzlich willkommen zur heutigen Veranstaltung. Ich habe den Filmemacher Patrick Müller, der jetzt gleich ein kleines Programm seiner Werke zeigen wird, im Rahmen zweier Seminare dieses Semester eingeladen und bin sehr dankbar, dass die TU das ermöglicht hat – und natürlich dem Filmfest dankbar für die Plattform.
P:
Über den Film WALPURGISNACHT werden wir anschließend noch sprechen. Vorab: Es handelt sich um einen der einen der früheren Filme von mir, nach einem Gedicht von Theodor Storm, der es 1837 geschrieben hatte und es ist ein Film, der mit Stummfilm-Ästhetik spielt. Tauchen Sie nun ein in die Nacht des Gothic Horrors, möchte ich jetzt mal so sagen. *Film wird projiziert*
C:
Also wir haben jetzt gerade was ganz Ungewöhnliches erlebt, Patrick. Auf einem Festival. Der Film lief nun zum dritten Mal auf dem Braunschweig International Film Festival, aber jedes mal anders. Wir haben ihn 2017 rein digital gezeigt als Vorfilm von „Witches at Midnight“ und dann haben wir ihn in einem Konzert mit dem Komponisten gezeigt, der war selber vor Ort und hat live dazu gespielt. Du hattest stumm projiziert. Und nun hast du projiziert mit Lichtton hier aus dem Lautsprecher. Welche Fassung ist die am liebsten?
P:
Oh ja, im Prinzip ist jede Fassung interessant in dem Fall, weil sie ja komplett unterschiedlich sind. Wenn man eine DCP zeigt, hat man natürlich wunderbare Bild und Tonqualität. Das ist alles berechenbar, man weiß genau, es funktioniert alles. Übrigens war WALPURGISNACHT im Jahr 2017 der Vorfilm zu Robert Eggers THE VVITCH, mittlerweile einer meiner Lieblingsfilme. Es war ein absolutes Highlight für mich, da er auch thematisch passte zu jenen Motiven, die auch in Eggers Film eine Rolle spielen. 2019 war es ein Filmkonzert, bei dem Uwe Rottluff, der Komponist, auch mittels Trautonium und seinem Synthesizer live gespielt hat. Da musste natürlich alles stimmen, damit Bild und Ton synchron sind. Es ist eine ganz andere Erfahrung. Sie werden es dann noch bemerken, wenn in SÄV, SÄV, SUSA gesprochen wird, klingt das wie von einem alten Tonbandgerät. Das hat natürlich einen besonderen Reiz. Der Dichter Marco Kerler, mit dem ich auch schon einen Film gemacht habe (EIGENTLICH IST DAS KEIN FILM), hat mal gesagt, meine Filme seien so etwas wie Lagerfeuerfilme. Wie wie ein Lagerfeuerbesuch. Daraufhin habe ich gefragt, was meinst du damit? Na, das ist dieses unverwechselbare Moment, man kommt zusammen und schaut zusammen was. Und das gibt's halt nur heute, das Erlebnis kann halt nicht reproduziert werden. Morgen können wir die Filme zwar digital anschauen, aber das ist halt nicht dasselbe.
C:
Stimmt, genau. Und deswegen ganz herzlichen Dank, dass du hier bist. Dieser Film spielt für uns drei eine große Rolle. Es ist ja, würde ich mal sagen, aus deiner Sicht ist es ein Frühwerk. Wir verraten mal folgendes über die Genese dieser Veranstaltung: Christoph kam auf mich zu und sagte: „Clemens, ich will den Patrick bei uns einladen und wäre das auch was fürs Filmfestival?“ Und da habe ich gesagt, „Klar, machen wir.“ Und dann habe ich mit Patrick telefoniert und er hat ein paar Filme vorgeschlagen, die er zeigen möchte und dann habe ich aber gesagt, wir haben da einen persönlichen Lieblingsfilm: WALPURGISNACHT. Wir möchten kurz verraten, warum das ein persönlicher Lieblingsfilm ist. Erstens, weil ich habe den damals im Vorprogramm von WITCHES AT MIDNIGHT PROGRAMMIERT. Und, Christoph, das war das erste Mal, dass du einen Film von Patrick gesehen hast.
S:
Genau, da kannten wir uns noch nicht und da saß ich quasi unbekannterweise im Publikum. Und ja, ich finde das ganz spannend eigentlich, dass einer deiner ersten Filme, aus der Perspektive der Germanistik gesprochen, diese ganz tiefe Affinität zur Literatur beinhaltet und dann aber auch zu einem Gedicht von Theodor Storm. Gut, das ist ein kanonisierter Schriftsteller, aber das WALPURGISNACHT-Gedicht ist bei ihm eher im Frühwerk zu finden und auch nicht wirklich so jetzt eins von den Werken, die in der Top 10 irgendwie auftauchen würden, die also eher die obskuren Ecken der Literatur erkunden und dass du dich in gewisser Weise mit dem Film so in zwei Traditionsideen stellst. Das wäre jetzt erstmal meine These, die du überlegen kannst. Zum einen, dass das Experimentalkino generell sehr stark an der Lyrik angelehnt ist. Also wenn man so diese frühen theoretischen Schriften zum Experimentalfilm liest, von Maya Deren z.B. oder von Stan Brakhage, die bezeichnen ja ihre Filme selbst als Gedicht und wollen ja weg von dieser Verbindung zum narrativen Spielfilm, der sich ja ganz klassisch auf den Roman beruft und sagen: Nein, unsere Filme sind strukturell eher in der Lyrik nah. Bei WALPURGISNACHT finde ich ganz spannend, dass er noch diese zweite Ebene nutzt, den Gothic Horror. Da ist ganz klar diese Verbindung zum Weimarer Kino, in den Zwischentiteln sieht man das ganz stark. Das ist ja wirklich so Caligari reloaded!
Das finde ich ganz ganz toll und wir werden heute noch sehen, wie sich das durch das Œuvre so durchzieht bei den Affinitäten.
P:
Wenn man den Film macht, dann hat man natürlich ganz eigene Gründe. Als ich 2006 in Paris studiert habe, da habe ich jeden Abend in der Cinémathèque française gesessen und es lief gerade eine Retrospektive expressionistischen Kinos der Weimarer Zeit. Ich durfte alles auf 35mm sehen, auf großer Leinwand und da ist auch diese Liebe zum analogen Kino dann entstanden: von Fritz Lang, Papst und vor allem: Murnau. Das ist mein absoluter Liebling.
Da war auch DAS KABINETT DES DR. CALIGARI. Irgendwann kommt alles zusammen: Caligari, diese Zwischentitel, dieses Expressive, das hat mich hier gereizt, auch das mal auszuprobieren. Ich war 2015 im Urlaub in der Provence und habe diese Zwischentitel fünf Stunden lang auf dem Balkon gezeichnet. Es waren draußen 38 Grad und ich hatte nicht mitbekommen, dass währenddessen mein ganzer Körper von Mücken zerstochen wurde. Es war wirklich schlimm, doch ich dachte ja, vielleicht muss man auch diesen Schmerz mal erleben, als Teil einer Walpurgisnacht. *lacht*
Die Zuschauer fragen mich immer, warum hast du so viel Gedichtfilm-Adaptionen? Ich hatte das Glück, dass ich in der Schule nie mit Gedichten „gequält“ wurde, sondern mir sie anders erschließen konnte. Im Alter von 19 Jahren habe ich Klavierunterricht genommen und zuhause, aus Freude, für meinen jüngeren Bruder Volkslieder gespielt und gesungen, vor allem Moritaten aus dem 19. Jahrhundert. Meistens kennt man davon nur wenige Strophen, doch die Wenigsten wissen, dass es auch noch viele weitere Strophen und Varianten gibt, die oftmals blutig rausgehen. Gedicht beinhaltet ja auch Verdichtung, da ist so viel drin und die kann man im Film nutzen, indem man sie auch mit Bildern auflädt.
Zuschauer:
Was ist als erstes da, das Gedicht und dann überlegt man sich den Film, oder umgekehrt?
P:
Das ist von Film zu Film unterschiedlich. Es kommt irgendwann alles im richtigen Moment zusammen. Man hat, so geht es mir, Gedichte oder Texte oder Ideen im Kopf, die man mal realisieren möchte. Ich hatte damals diese neue Kamera namens Logmar, das war die erste Super 8-Kamera seit 40 Jahren, ich war da Betatester und wollte sie für das Projekt einsetzen. Dann ging alles schief, was schief gehen konnte: Genau an der Stelle, wo die Protagonistin vergewaltigt wurde, wurde der Film perforiert. Das sieht man auch auf dem Plakatmotiv. Da wurde der Film wirklich zerhäckselt und gefaltet und das ist dann im Film auch mit drin. Manche nennen das beim analogen Film „Wabi Sabi“, die japanische Lehre, dass man Unvollkommenheiten ins Herz schließen soll, der Glaube, dass nichts durch Zufall geschieht, sondern es einen weiterbringt. Wie ein Maler beginnt man mit einer Intention und arbeitet auf etwas hin, wie es einmal wirken soll. Hier hatte ich erst dieses Storm-Gedicht. Ich hatte vorher schon mehrfach Mörike verfilmt und jener hatte einen interessanten Briefwechsel, aufgrund dessen ich auf Storm aufmerksam wurde. Wir sehen als nächstes den Film SÄV, SÄV, SUSA. Warum mache ich einen schwedischen Film? Einerseits, bin ich ein großer Ingmar-Bergman-Fan, aber ich hatte 2015 einen Sprecher für meinen Film I UNGDOMEN (In der Jugend) gesucht und da bin ich auf Klaus Rüdiger Utschik in München gestoßen, er ist der einzige Übersetzer eines der bedeutendsten schwedischen Dichters, nämlich Gustaf Fröding. Ein paar Jahre später kam ich auf die Idee, wir könnten doch mal dieses SCHILF, SCHILF, RAUSCHE verfilmen, den wir jetzt gleich sehen. Darin ertrinkt eine junge Frau, es wird angedeutet, was passiert sein könnte. Gleich danach kommt SPELLBOUND, geschrieben von Emily Bronte, ein Gedicht über eine junge Frau, die auf mysteriöse Weise nicht aus dem Wald entrinnen kann und stirbt. Geschrieben 1837: im selben Jahr, in dem Theodor Sturm WALPURGISNACHT geschrieben hat. Gedreht wurde er 2021 während der Pandemie. Viel Spaß!
C:
Ich bin total geflasht. Die beiden Filme kenne ich zwar, aber nur von deinem Vimeo-Kanal. Und jetzt habe ich sie das erste mal auf großer Leinwand gesehen. War das als eine Trilogie angelegt? Ich würde sogar vielleicht eher sprechen von einem Triptychon mit den beiden Filmen zu WellenVorm, der die Musik gemacht hat, links und rechts und dem Schilf in der Mitte. Kann man das sagen?
P:
Man kann natürlich das im Nachhinein so sehen, aber driekt geplant war es nicht. Ich hatte mich in jener Zeit viel mit Emily Bronte beschäftigt. Mich interessierte, was für eine Person sie war und warum sie in ihrer fiktiven Traumwelt Gondall Texte geschrieben hat wie den hier. Plötzlich schneite es wie verrückt im Januar und ich dachte, es war ja Lockdown, wir können wirklich nicht weg. SPELLBOUND konnte ich direkt in der Umgebung meines Hauses umsetzen. Erstmals habe ich hier gezielt mit Doppel- und Mehrfachbelichtungen in der Kamera gearbeitet. Man musste also mittels Kurbel auf die richtigen Marker zurückspulen. Vielleicht haben Sie es schon bemerkt: Mir geht es ganz klar darum, dass der Zuschauer neu sehen lernen soll, etwas, was er so sonst vielleicht nicht wahrgenommen hätte. Ich versuche eine gewisse Einfachheit anzustreben in der Bildsprache. Die Bilder scheinen bekannt, aber in der Kombination, in der Länge, wie sie geschnitten sind, lösen Sie etwas aus. Und diese Schlichtheit, die finde ich gut. Ich will nicht überwältigen, sondern der Zuschauer sollte einem selbst seine Erfahrung machen. Manche wundert es, wieso so selten Menschen in meinen Filmen zu sehen sind. Wenn man einen Menschen zeigt, schauen alle erstmal nur auf den Menschen. Und ich bin ja ein großer Freund der Natur und finde es reizvoll, den Blick darauf zu lenken. Am Ende von SPELLBOUND etwa sieht man dieses seltsame Gebilde, wie Gitter oder Pfeiler. Das sind abgestorbene, tote Königskerzen. Im Sommer standen sie noch in voller Blüte, aber im Winter waren sie völlig verändert: sie waren völlig silhouettenhaft und von einer rätselhaften, eisigen Schönheit, die man gerne betrachtet.
C:
Ich möchte doch noch mal nachbohren. Also hast du uns jetzt erklärt, wie du aus der Situation heraus bestimmte Techniken anwendest, aber trotzdem finde ich, ist es doch überdeutlich, dass in den drei Filmen halt ein durchziehendes Thema ist. Also ich sag mal so, Frauen in Nöten aufgrund einer wirklich extrem patriarchalen Gesellschaft, noch stärker als das heutzutage der Fall ist. Also spielt ja alles im neunzehnte Jahrhundert. Das war doch sicherlich kein Zufall, dass du diese drei Texte ausgewirkt. Bist du am Ende ein feministischer Filmemacher?
P:
Das Schicksal von Frauen hat mich schon immer berührt. Ich hatte bereits erwähnt, dass ich ein großer Murnau-Fan bin. In seinen Filmen geht es um moralische Fragen, um Menschen, die aufgrund ihrer Lebensweise, Sexualität oder anderen Themen in Bedrängnis geraten, z.B. in TABU. Ich finde solche Themen immer sehr, sehr interessant. Zum Beispiel bei SÄV, SÄV SUSA: die Protagonistin hatte sich (so erklärt ein weiteres Gedicht) mit einem Adeligen eingelassen. Ingalills Lilienkrone, ein Symbol für Jungfräulichkeit, wurde symbolisch mit Schmutz beworfen. Wie in Filmen von Douglas Sirk kommt sie durch die ach so moralische Dorfgemeinschaft in Bedrängnis und wird in den Tod gehetzt. Ähnlich auch in SPELLBOUND. Obwohl es nicht offensichtlich ist, interpretieren Literaturwissenschaftler, dass die Protagonistin offenbar schwanger war aus unbekannten Gründen. Sie erfriert im Wald und es bleibt ein Rätsel, wieso sie ihrem Schicksal nicht entkommen kann oder will. Der Zuschauer kann sich selbst seinen Gedanken machen.
S:
Ja, finde ich ganz spannend was du sagst, auch im Hinblick auf Einzelschicksale, die da irgendwie in den Gedichten dann verarbeitet werden. Aber ich habe irgendwie so den Eindruck, dadurch, dass du ja irgendwie konsequent darauf verzichtest, Menschen zu zeigen oder auch überhaupt urbane Räume, also ich glaube im zweiten war das glaube ich zumindest jetzt, also dieser Fokus auf Landschaft und Natur, da bekommt das ja irgendwie auch etwas Universelles, weil es so universelle menschliche Probleme sind, die da verhandelt werden und nicht so individuelle Schicksale und ich habe mich auch gefragt, jetzt gerade wenn ich nicht wüsste, wann diese Filme konkret gedreht worden sind, ob ich die dann auch wirklich so jetzt konkreten Jahrzehnten irgendwie zuordnen könnte. Weil du so eine simple Bildsprache gewählt hast, sehr einfach, sehr schlicht, könnte man denken, er sei ein Experimentalfilm von irgendeinem obskuren schwedischen Regisseur aus den 50ern.
S:
Vielleicht sagst du noch ein paar Sätze zur Musik. Nun war das bei den bei den ersten immer WellenVorm, den wir auch live gesehen haben, 2019 auf dem Internationalen Filmfestival Braunschweig. Komponiert er etwas, wenn der Film fertig ist, oder gibt es schon vorher eine engere Zusammenarbeit?
P:
2014 hatten mich die TAGE DER INDUSTRIEKULTUR in Chemnitz eingeladen, ein paar Filme zu zeigen. Und da der Großteil meiner analogen Filme stumm war, hatte mir ein Freund, Frank Weinhold, gesagt: „Ich kenne einen Komponisten, der wäre genau der Richtige für dich.“ Uwe Rottluff interessiert sich für ungewöhnliche Musikinstrumente, für Synthesizer, Trautonium etc. Und das hat mir unglaublich gut gefallen, weil es genau die richtige Mischung dann mit den Bildern gegeben hat. Teilweise sind es neue Kompositionen, wie bei THE GARDEN und SPELLBOUND, teilweise existierende, wie bei THE COLOUR OUT OF SPACE.
Zuschauer:
Ich finde den Ton sehr laut und ich fand auch sehr oft, dass Ton und Bild und Text nicht zusammenpassen. Ich nehme an, dass du absichtlich mit diesen Gegensätzen dann wahrscheinlich auch spielst. Also dass da irgendwie eine Sturmflut ist und dann plätschern da so leise irgendwelche Wellen im Schilf und weiß nicht was, so ein Sturm und ruhiger Schneefall und dazu alles laut.
P:
Ja, das ist bewusst gewählt. Die Stelle, wo sie an Wolken denkt und ihre Wahrnehmung getrübt ist, dort zeige ich statt Wolken, mit Schnee bedeckte Brombeersträucher oder dann später das Spiel mit Unschärfe und dieses akustische Ticken. Das ist wie so ein Gewebe, es das mischt sich.
Zuschauer:
Ich wollte nur sagen, dass es ganz interessant war zu sehen, wie der Boden den Film widerspiegelt. Im letzten Film hat man quasi die Spiegelung von Bildung gesehen. Das fand ich sehr interessant.
C:
Ja, das ist das Tolle, dass letztlich, wenn du mit dem Projektor, egal ob du zu uns oder wo auch immer, es ist letztlich jedes mal Erlebnis, das in dieser Form nicht wiederkommen kann, wenn der Raum halt jedes mal anders ist. Ja, bevor wir mit dem Film weitermachen, möchte ich doch eine technische Frage stellen. Der erste Film, den wir gesehen haben, der war ja auf 8mm gedreht, während diese beiden anderen auf 16mm gedreht sind. Macht das bei der Arbeit für dich als Filmemacher einen Unterschied?
P:
Nein, das ist kein Unterschied. Allerdings ist 8mm ein sehr portables Format. Das sehen wir bei dem nächsten, INTO THE REALM OF THE NIGHT, den ich in 8mm gedreht habe. Das ist natürlich alles viel kleiner, wenn man so eine Kamera hat. Ich habe hier allerdings für die Projektion bei solchen Abenden, alles auf 16 mm kopiert, dass das halt einheitlich ist. Ist auch viel heller. Solche Abende mit analoger Projektion sind wirklich super, super selten geworden, muss man sagen. Vielleicht noch auf den Dresdner Schmalfilmtagen, da hatte ich sogar mit INTO THE REALM OF THE NIGHT den Hauptpreis der Jury gewonnen. Darüber hatte ich mich sehr gefreut. Dort läuft noch alles analog. Oder auch in Toronto auf dem the8fest oder in Seattle, auch die Chicago Film Society zeigt nur Originalkopien. Alle anderen Festivals zeigen moderne DCPs, also digitale Kopien. Und ja, das ist auch okay.
C:
Und jetzt gucken wir INTO THE REALM OF THE NIGHT. Der entfernt sich sehr von den drei Filmen, die wir eben sehen.
P:
Ich habe ihn 2022 in Kopenhagen gedreht, als ich SPELLBOUND auf einem Festival zeigte. Und das war so eine surreale Situation. In Deutschland war Lockdown, es ging gar nichts. Doch in Kopenhagen waren die Fallzahlen ganz niedrig. Also wurde der Vergnügungspark Tivoli aufgemacht, die Weihnachtsmärkte haben aufgemacht und fühlte mich wie abrupt umgestellt von Vitamin-d-Mangel zu Vitamin D-Überschuss: also völlige Endorphine. Ich brauchte erst mal ein paar Tage, um mit der ganzen Situation klarzukommen. Ich war wirklich berauscht und dachte jetzt, das ist eine sehr gute Gelegenheit, hier mal was Filmisches draus zu machen, aus diesen Spannungen, die ich empfunden habe. Und da ist hier ein ganz freier Film ohne Gedicht rausgekommen, einfach nur Bild, Ton, Musik. *Film wird projiziert*
C:
Ja, da gebe ich einfach mal das Wort an Literaturwissenschaftler. Kann man was zu sagen?
S:
Ich kann auf jeden Fall dazu sagen, dass wir nun einen Kontrast sehen. Wir sehen jetzt Menschen, wir sind in der urbanen Landschaft. Und dafür fand ich es ja doch sehr eindrucksvoll, wie viele Menschen man nicht sieht. Also ich hatte jetzt, nachdem ich ihn jetzt noch mal auf der großen Leinwand gesehen habe, eher so Postapokalypse-Vibes, irgendwie so eine Großstadt bei Nacht, die pulsiert. Man sieht Autos, die fahren, man sieht Lichter vom Vergnügungspark. Aber man hat den Eindruck, es gibt ja gar kein menschliches Leben mehr. Es ist wie so Totentanz. Und auch so ein Anschluss dann an diese Experimente in den 20er Jahren, diese Avantgarde eben, Lichtreflexe und pulsierende Formen. Ich finde ganz erstaunlich, wie sehr du es geschafft hast, da doch den Menschen aus dem urbanen Raum so auszulassen, was ja sicherlich auch recht anstrengend ist, wenn man da irgendwie mitten in der Großstadt dreht, dann immer so Bilder zu finden, in der gerade eben bei keiner menschlichen Existenz irgendwie zu sehen ist.
P:
Das war bewusst so konzipiert, dass am Anfang diese Menschen sind und bei diesem Übergang dieses, dieses seltsame, unwirkliche, der Mensch dann verschwindet, wie so ein Zwischenreich, das übernimmt, sag ich mal. Der ganze Film ist komplett mit Doppelbelichtungen gedreht, ich wusste oft nicht, wie die Belichtungen zusammenspielen. Der Film hat dann selbst das Zepter übernommen. Ich mag diese Experimente sehr. Aber die Grundidee hier war hier wirklich ein Film Noir aus den 40ern: FIVE AGAINST THE HOUSE, in dem man nur die Lichter der Casinostadt sieht. Wenn man mit diesem wenig empfindlichen Material dreht, ist nachts alles schwarz, bis auf die Lichter. Und das hat mich gereizt.
S:
Und weil du ja eben auch so Realismus erwähnt hast: Ich hatte auch den Eindruck bzw. die Frage, welche Rolle denn der Zufall spielt. Z.B. bei diesem Film vor allem. Ich hatte bei den ersten drei so den Eindruck, okay, es gibt ja diese diese Gedichte und dann wird quasi werden Bilder gesucht, gefunden, die irgendwie diese Atmosphäre evozieren, die auch die Dichte haben. Und hier auch mit der Vorgeschichte, dass du da in Kopenhagen bist, ja selbst aus deiner damaligen Lebenssituation, diese Szenerie wird sehr so real, dass das Leben einfach so weitergeht wie vor Corona. Ich hatte den Eindruck, du bist dann eher so über so Bilder gestolpert, vielleicht und dir sind Dinge begegnet, von denen du Okay, die muss ich jetzt unbedingt ad hoc auf Film ausprobieren.
P:
Ja, also ich versuche das immer irgendwie ein bisschen rauschartig zu machen. Also ich habe da eine Stimmung. Ich filme alles in Stimmungen. Wenn die Zuschauer fragen, wie macht er das überhaupt? Wie kann er das, macht er ein Storyboard? Nein, es gibt kein Storyboard! Bei den Gedichtfilmen z.B. habe ich einen Text und dann lasse ich die Sprache auf mich wirken. Es sie hart, ist sie weich, was ist die Aussage/Inhalt? Und dann schreibe ich mir nur an den Rand Stimmungsnotizen wie Angst, Glück, Zerrissenheit. Oder eine Kamerafahrt oder Großaufnahme. Und so weiter, solche Dinge. Also das heißt, welche Bilder suche ich, auf welche Stimmung müssen die halt passen? Und dann suche ich sie und dann wird es nach diesem Stimmungsprotokoll sozusagen dann im Prinzip zusammen montiert. Wenn im Text jemand von einer Rose spricht, dann zeige ich natürlich nicht die Rose. Das wäre illustrierend. Man muss etwas anderes zeigen, etwas, das diesem Glücksgefühl vielleicht bei einer Rose oder Verliebtheit entspricht. Das macht es dann auch reizvoll.
Zuschauer:
Sammelst du dann Bilder, indem du durch die Welt gehst, da passieren ja manchmal Stimmungen wie jetzt Schnee. Dass man dann sagt, die würde ich gerne sammeln für später, auch wenn du keine konkrete Anwendung dafür hast. Nimmst du das dann auf und legst das quasi zu Hause hin für dann die den Moment, wo der das dann wirken darf?
P:
Könnte man denken, aber das mache ich bewusst nicht. Es gibt einen Filmemacher, der u.a. so arbeitet: Werner Fritsch. Vor ein paar Jahren hatte ich einen Film von ihm gesehen, dessen Material die letzten Jahrzehnte gefilmt wurde und dann erst später geschnitten. Das funktioniert auch, aber ich will bewusst dem Ort und der Zeit treu bleiben. Zwei Jahre später wäre es undenkbar, noch einmal für den Film zu drehen. Ich brauche unbedingt auch diese Anspannung, das in einer gewissen Zeit auch zu realisieren. Und auch bei dem Film, da habe ich ein gutes Drehverhältnis. 2/3 des gedrehten Materials landen immer im Film. Ich versuche also, wirklich ganz gezielt zu arbeiten. Film, das wissen sie vielleicht, ist unglaublich teuer heutzutage und da kann man schon, ja, also da will man kein Material verschwenden und überlegt sich gut, was man filmt.
Zuschauer:
Bei einem Gedicht, wenn du so deine Stimmungen rausgeschrieben hast und das schon verfilmt hast, hast du dann den Reiz, das dann irgendwie in fünf bis 10 Jahren nochmal zu machen, dass du jetzt irgendwie sagst, die Stimmung habe ich damals für mich über diese Bilder transportiert. Man reift ja auch selbst, dass man irgendwie dann nochmal den Reiz hat, bestimmte Gedichte nochmal neu zu verfilmen mit neuen Bildern.
P:
Nein, das ist abgeschlossen. Ich sehe die Gesamtheit meiner Filme wie ein Oeuvre, wie ein Werk. Alles bedingt sich, alles baut aufeinander auf, es gibt Entwicklungslinien drin und das sollte man als Künstler, finde ich, immer so auch so sehen. Ich kenne einen Bildhauer, der hat dann immer sein Frühwerk zerstört, weil er gesagt hat, das kann ich jetzt besser und er hat sich dadurch kaum weiterentwickelt. Man muss zu dem stehen, wie es damals gewesen ist.
C:
Da war noch eine Frage oder es sind zwei Fragen dabei, die machen wir noch.
Zuschauer:
How long does it take to shoot the film?
P:
INTO THE REALM OF THE NIGHT, I shot it in, it was some hours or so. Some on daylight and some night time. And then the film will get developed or I develop it myself, processing. And this can take a week or so. After that, you you see the film completely anew with new eyes and you rediscover it: that's magic. So I would say, the rough cut is ready in three or four days and then will be defined tuning of the film. And, of course, then the music has to be composed. So it can take, if I’m really fast, two or three months and then the film can get go to the festivals. Because I'm so anxious and I'm so excited, I couldn't stand it to make a film two years or so. It has to be creative act of force.
Zuschauer:
Du hast ja schon ein bisschen was zu deinem kreativen Prozess gesagt, mit den Stimmungsnotizen und so weiter. Und auch, dass du nach einer Woche dann das Material mit neuen Augen siehst. Mich würde nochmal interessieren bei dem Film, inwieweit wusstest du vorher, was das überhaupt wird und was es ausdrücken wird? Und inwieweit warst du selbst überrascht und hast dich leiten lassen von den Ergebnissen, die du gesehen hast? Weil, wenn ich es richtig verstanden habe, hast du ja in der Kamera doppelt belichtet.
P:
Also es gibt gezielte Doppelbelichtungen, wie bei SPELLBOUND, wo ich genau wusste, wo die hin müssen, weil ich die Seelenzustände vorher so notiert habe und was in der Frau vorgeht. Ja, und dann gibt's eben andere, wo ich mich, wie bei INTO THE REALM OF THE NIGHT, wirklich drauf eingelassen habe, was der Film selbst mit mir macht. Von daher ist das unterschiedlich.
C:
Wir sehen jetzt noch drei Filme von jeweils 5 Minuten, deine Lovecraft-Trilogie. Der erste Film, den wir sehen, der lief als deutsche Premiere auf dem Internationalen Filmfestival Braunschweig 2017.
P:
Und das war damals wirklich wichtig für die Wahrnehmung meiner filmischen Arbeit. Lovecraft hat, wie der Meteorit im Buch, dann also richtig, sagen wir mal eingeschlagen, auch international. Und das war eine ganz ungewöhnliche Sache, weil es gab eben einen lilafarbenen Film und ich wollte mit dem experimentieren. Ich war in England in jenen Regionen, in denen ich mich in Neuengland träumen konnte und habe die Worte herausgeschrieben, die mich faszinierten. Zu der Zeit hatte ich ein Hörspiel gehört von Alexander Kluge über Musils MANN OHNE EIGENSCHAFTEN, den ich sehr mag. Und er fragte, ja, wie kann man den MANN OHNE EIGENSCHAFTEN verfilmen? Sinngemäß antworte er: „Nehmt nur einen Teil heraus, einen kleinen Teil und den auf den konzentriert ihr euch. Ihr könnt nicht den ganzen MANN ODER EIGENSCHAFTEN verfilmen, das geht nicht. Und da dachte ich, das ist eigentlich eine gute Idee und und ich nehme mir hier die Veränderung der Natur vor, und die der Wahrnehmung. Kennt jemand DIE FARBE AUS DEM ALL, die Geschichte von Lovecraft? Kurz zusammengefasst: Meteorit schlägt ein, alle drehen durch und sterben. *lacht* Das ist die Kurzfassung, aber es ist eine extrem einflussreiche Kurzgeschichte in der Popkultur des 20. Jahrhunderts: kosmischer Horror, eben dass das Grauen von außen kommt, im Gegensatz zu Gothic horror, das Grauen von innen heraus sozusagen. Der zweite Film ist dann halt THE GARDEN, den ich 2019 auf einem Friedhof in Savannah in Georgia gedreht habe. Lovecraft und ich haben eine Gemeinsamkeit, wir lieben Spanish Moss, dieses herunterhängende Moos von den Virginia-Eichen, woraus angeblich Käfer kommen, wenn man dran zieht, die sogenannten Critters, wie man sie dort nennt. Das ist wie der Fiebertraum der Südstaaten. Ich wollte es immer schon mal filmen und da habe ich ein Gedicht gefunden, was seinen Seelenzustand als junger Mann so abbildet. Und der ganz letzte Film ist mein aktuellster, auch wirklich am meisten gezeigter: ANCIENT LORE, also ALTE KUNDE. Und im Prinzip ist es wie eine Zusammenfassung des ganzen Lovecraft-Mythos. Er hat ja immer so das Gefühl, vor uns Menschen seien andere Wesen dagewesen, die irgendwie auf der Welt gewesen sind. Und da muss ich gar nicht mehr erzählen, tauchen sie einfach ein in die Bilder. *Film wird projiziert*
Zuschauer:
Have all your movies been processed traditionally?
P:
It depends on what film you are asking. The first one, THE COLOUR OF SPACE was shot on Lomochrome Purple stock, processed by myself. And the second was simple Kodak Ektachrome Film, processed by a lab in New Bedford. And the third one, I used a special color technicolor plugin during the editing, in order to get a two-strip technicolor appearance. For example, in the beginning of the 1920s, you had this early color process in cinema, called two-strip technicolor process. It used a beam-splitting prism behind the lens to divide light into two paths; half was filtered red and the other half green. You can see it in the film PHANTOM OF THE OPERA from 1925, for example. And when Lovecraft went to cinema, he would have seen these early color films. And I wanted to experiment with that look. I did it digitally, like Martin Scorsese did on THE AVIATOR. When he portrayed the 1920s, he used the look of the two-strip technicolor digital process. And cinema enthusiasts would instantly recognize this. And I wanted to have this strange, not naturalist feeling with it. So at the end, when you see a Monument Valley, it looks totally not so picturesque, but red and dangerous. And yeah, i like that a lot.
C:
Zurück zum Thema Literatur: Im ersten Film hast du sicherlich Lovecrafts populärste Story verfilmt, DIE FARBE AUS DEM ALL. Aber deine beiden anderen Texte sind ja nun Gedichte. Und ich muss gestehen, dass mir Lovecraft als Lyriker eigentlich bisher immer fremd war. Und von dem Gedicht „Oceanus“ habe ich vorher noch nie was gehört, obwohl ich gerade in meiner Jugend viel Lovecraft gelesen habe. Wie bist du auf diese beiden Gedichte gestoßen?
P:
Ja, THE GARDEN ist wirklich sehr selten, aber man kann es finden. Es heißt eigentlich A GARDEN, ich habe den Titel leicht geändert. Lovecraft hat, glaube ich, fast 500 Gedichte gemacht, also unglaublich, darunter gibt es auch einige problematische Gedichte. Und den zweiten, also ANCIENT LORE, habe ich auch umbenannt. Ursprünglich heißt er „Oceanus“ aus „A Cycle of verse“. Im letzten Jahr wurde eine Auswahl von Lovecrafts Gedichten erstmals von Frank Dukowski in einem schönen Band ins Deutsche übersetzt. Und da dachte ich, OCEANUS, das ist ja wunderbar, das ist ja der Cthulhu-Mythos in komprimierter Form enthalten.
S:
Ja, finde ich auch toll dieses Programm, jetzt nachdem ich die Filme alle hintereinander gesehen habe.
S:
Auch dieser Aspekt, das habe ich ja schon ganz am Anfang gesagt, dass du dir ja auch von so renommierten Schriftstellern dann eher Sachen rausgreifst, die jetzt nicht unbedingt im Kanon verortet sind, weil Lovecraft als Lyriker, das ist, glaube ich, den Wenigsten ein Begriff. Auch am Anfang bei Storm, also da denkt man ja irgendwie an realistisches Erzählen oder vielleicht SCHIMMELREITER, der hat ja noch so Gothic Elemente aber die werden ja dann heruntergebrochen irgendwie auf eine auf eine rationale Erklärung und das ist ja auch irgendwie dann überraschend, wenn man Storm erlebt als jemand der irgendwie so ein klassisches WALPURGISNACHT-Gedicht schreibt und ich fand dann auch schon den Rahmen ganz ganz cool so dass wir anfangen irgendwie mit so einem Spätausläufer der schwarzen Romantik eigentlich, der auch viele Motive so aus der Folklore drin hat, der Teufel, Hexen und sowas und dann mit Lovecraft enden, wo wir ja dann so kippen in die moderne Phantastik, wie du auch gesagt hast, am Anfang kommt der Schrecken irgendwie noch von innen, dann haben wir hier irgendwie das kosmische Grauen über Meteoriten und außerirdischen Entitäten, die auf dem Grunde des Ozeans leben.
P:
Apropos Ozean: Hat jemand eine Erklärung warum am Ende von ANCIENT LORE das Monument Valley gezeigt wurde? Es ging darum, ein Bild zu finden, was am Schluss den Zuschauer erst einmal völlig ratlos zurücklässt. Ich hatte zu der Zeit für das Filmmagazin 35 MILLIMETER einen Artikel über JOHN FORD UND MONUMENT VALLEY gschrieben, und stieß bei der Recherche darauf, dass in der Navajo-Mythologie die Felsen Reste von erschlagenen Monstern sind, aus einer Zeit, bevor es die Menschen gab. Da dachte ich mir, ja, das ist ja eigentlich ein interessantes Bild und es weitet auch diesen Mythos von Lovecraft auf diese globale Weise auf, dass es eben nicht nur Cthulhu und unter Wasser und so weiter gibt, sondern dass es so viele Ausprägungen sein können von Kulturen, indigenen Kulturen, was vor den Menschen da war, ob das gut oder schlecht war. Auch in THE GARDEN gibt es solche scheinbaren Widersprüche. Wir haben Engel und einen jüdischen Friedhof im Film, obwohl Lovecraft Antisemit war. Wie kann denn das zusammengehen? Es ist eben sein Innenleben, voller Widersprüche. Lovecraft hatte sogar eine Jüdin, Sonja Green, geheiratet, in einer schönen Kirche in Manhattan. Bergman und Buñuel ließen immer verlauten, dass sich gerade Atheisten besonders mit religiösen Themen auseinandersetzen. Auch Lovecraft hat sich natürlich mit religiösen Dingen beschäftigt, und das kommt in dieser ganzen Traumwelt eben alles zusammen.
C:
Ja genau. Wir haben jetzt die Gelegenheit für so eine letzte Frage.
Zuschauer:
Das letzte Gedicht (OCEANUS, im Film ANCIENT LORE), das wir gesehen haben, hat mich an untergegangene Zivilisationen erinnert, die irgendwas falsch gemacht haben und Gott dann seine hat Vergeltung geübt hat. Vielleicht geht es um diese Angst, was davor war und was nicht wieder vorkommt.
P:
Ja diese Angst vor fremden Dingen, dass war Lovecrafts Werk inhärent. Er hatte immer Angst: vor Veränderung seiner Lebenswirklichkeit, z.B. in New York und so weiter, bis 20. Jahrhundert, die sich verändernde Massengesellschaft, sich durch Einwanderung ändernde Traditionen etc. Aber er hat diese Ängste literarisch verarbeitet und in seine Mythologie eingebaut. Ängste, wie du sie ansprichst, gibt es ja schon im Alten Testament, wenn man etwa Moses und Aaron betrachtet. Aaron legt den Glauben etwas lockerer aus, mit dem Tanz ums Goldenen Kalb und so, und daraufhin kommt Gott und erschlägt ihn mit dem Speer. Ängste vor göttlichen Eingriffen ist also weltweit in Religionen verbreitet. Lovecraft war auch, wenn man es genau betrachtet, einer der Vorväter von Verschwörungsmythen, die später von Erich von Däniken weitergesponnen wurden und auf ihn über Umwege Bezug nehmen. Das heißt, Lovecraft ist so einflussreich in so vielen Ebenen, was ihn heute immer noch interessant macht, sich mit dem zu beschäftigen.
Zuschauer:
I have two questions. One is technical, artistic technical question is, when you're working on your films, do you cut it first digitally, or do you do it always manually.
P:
The Rough cut is always done analog, manually with all the splicing and the tape and so on. Because scanning in 4K is very expensive, so it's four euros per lm. So you decide really what exactly you want to scan. And the rest I do always digitally, because I'm a digital guy too. And you have so much more possibilities. So yeah, that's my way of working.
Zuschauer:
You films have an avant garde, experimental direction, but at the same time they feel like they are, in all possible details, from another time. Even the typefaces you are using and the colors. Every single detail is so authentic.
P:
I am a cinephile, I love old films and am writing about films. You have to keep in mind, that all of the film history of the twentieth century is analog. So when you watch my short films with their film grain und how they are made, your brain connects them with your memories that you had as a spectator twenty years ago or ten years or when you have seen an old film. So that's a great way of evoking all these feelings. You are the fist person to mention the typography in my films. Of course I love to play with typography. For example, for the last one, ANCIENT LORE, the role model was the title sequence TENEBRE by Dario Argento. Same with the Bergman influence in SÄV, SÄV, SUSA. I like to evoke these feelings. When I showed the final cut of ANCIENT LORE to the musician Carlos Ebelhäuser, he told me, that he was instantly excited in the first, four, three or five seconds of the film, because that's something he loves so deeply, because he also loves Italian movies from the seventies, eighties. I like the mix of modern and old things.
C:
Ja, vielen Dank.
C:
Also ganz, ganz herzlichen Dank, Patrick, dass du dir die Zeit genommen hast, deine Filme uns vorzuführen und eben auch an deinem kreativen Prozess und deinem Nachdenken über Film uns hast teilhaben lassen. Und vielen Dank, Christoph, dass du es ermöglicht hast, dass wir Patrick hier einladen konnten.
P:
Danke.
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Transcript of the video Q&A for INTO THE REALM OF THE NIGHT with Breven Warren (B) and Patrick Müller (P) from the 14th FESTIVAL ANGAELICA on September 15th, 2023.
B:
Hello, my name is Breven. Will you please introduce yourself and your film?
P:
Hi, I'm Patrick Müller. I'm a filmmaker from Germany and my film here at the festival is a film called INTO THE REALM OF THE NIGHT. I've made more over 40 films, mostly shot on Super 8 or 16 mm. INTO THE REALM OF THE NIGHT has a quite an interesting history because I was invited to Copenhagen in November 2021 to show my film Spellbound that's run at the festival last year at Angelica Festival. It was possible to travel to Copenhagen because it had almost no covid restrictions there in one or three weeks or two months or so.
I had my tiny camera, yeah, with me, the Bauer camera, it's a Bauer 88f camera from the 60s. When I arrived there, everything was everything dark and the night was so surreal because in Germany everybody wore masks. In Germany, the mood was so, so bad. And there in Copenhagen, even the old amusement park Tivoli reopened at on the day when I arrived. So it was like a magic word, but it's a real magic word because it was unlike anything I had in experience in the last years. And I was so happy. So I took this camera and, and shot this atmosphere of laughing people. I used black and white film and did a lot of double exposures. I'm not sure if everybody knows what double exposures are.You have here this this film and you can expose one side and then you flip it and then you expose the the other side. But you don't know exactly how the double exposures will look at the end of the developed film. So you could predict a bit, but not so much. And so I shot all the scenes. It's like Wonder World, but also a strange world. And my my friend Uwe Rottluff from Chemnitz made a very interesting synthesizer music. It's made with a modular synthesizer with some orchestra sounds. And this combination I think worked quite well.
B:
Amazing. Thank you so much for sharing all of that. It's always so interesting to know how you make your films. They are, they're so they're so unique and they have so much texture. And so it's always so interesting to hear your process. And that camera is very beautiful. So such a good looking camera!
P:
Oh yes, the the lady at the at the customs also liked it, all the Chrome and so on.
B:
Tell me you you talk about how this has been the most, like, praised film for you. What do you have ideas about why you think that is? Or is it timing? Because it, you know, is exploring sort of that space that opened up and felt so different. What What are your thoughts on that?
P:
Yeah, that's, that's a good question. You never know what it is, but I think it was the the right moment. All all of my films they have most of films have a special location where I shoot and I shoot it in a different way. So, so no, nobody who has a location saw this, saw it the way I shot it, and it was here a bit the same, but also the this, this, the moment when I shot it was so special. And it's like a painting you start to paint you. I had a special mood in mind how the film should work at the audience. And you start like a painter. You, you, you start with yeah, with a, with a feeling or idea how it should look like. And then you edit and edit and all your film and so on and stand film turns out maybe, hopefully like it is. So here it wasn't exactly the way I cut only on 5 or 6 times.
I didn't edit edit it so heavily because you couldn't it was double exposure. If you would, you would destroy all the double exposure. So this was quite, quite tricky so, but it worked.
And maybe it's so open because or maybe people receive it so well because it's so open for their own ideas. So you can delve into this night and you can feel like how it is, how it may be there and all these Christmas, this the surreal Christmas atmosphere. And it's not closed like with a poem. I did a lot of poetry film my, my latest now it's ANCIENT LORE. It's a Lovecraft poem that runs in, in Rome next week, next next month and Portland and so on. But this is also a different and here is no poem. So this was quite an experiment and I don't know, but people are so, so amazed by it because it opens a different world. I think some of the jury member said it, it takes you to a different world and I don't know, maybe what what do you do you think about it?
B:
No, I never know either, right? It's so, it's so interesting, you know, sometimes you see something and it feels so special and it it's resonating with other people. And then sometimes it's sort of living alone, even though it is a gem or a special, right. So the fact that you were sharing this is done so well. I was just curious, you know, your ideas. Also, knowing that you make a lot of films, yes, I would love to hear from you more about kind of how you feel in your art right now. Now that the you know, the world is open back up and you're sharing your films and you're traveling on the festival circuit. How has that been for you as an artist since we, you know, last connected and shared your work? And then also I am, my current research, I'm looking more into how film makers feel their what defines their success, right? Knowing that there's not any singular idea of success. What is it for you, right? What, and understanding that like the definition of success, like you purely define it. I'm not defining it for you. You know what, what makes you wake up in the morning? What makes you want to do this? And you know what is your, your drive and as you say, your passion, right? I use that word a lot as well. Will you talk to me about that?
About, about your art?
P:
Oh, these are lots of questions. Where shall I begin with with I I would say all the, all the, the COVID time was really horrible to me because most of my family was ill and where I work, it was, it was such a bad atmosphere and mood and depressing and film making for me was maybe the only escape for it. Because even during COVID, I could present my work through all over the world on festivals like like at yours. And most of them did video interviews or Q&A and so on! So even the vaccination, I got vaccinated and I didn't care if it was good or bad because I wanted to go to the festivals. The vaccinations were the entry ticket for it. So, so just keep my, my mood up and I'm quite happy that it's over now. And yeah, now, now I can travel. My last film was made in France. So this this was really, really good. But for me as a filmmaker, it doesn't change so much because I have an idea and I start to make the film and this is a quite intense and, yeah, quite demanding process because all the all the editing and the shooting and the camera is really heavy and but, but it's all, it's so worth it at the end when it's really well received. So yeah, make making art is always the best thing you can do in life. And so you should always try to keep on track with it so to do it.
B:
So, yeah, so then the question about kind of your definition of success, right? I feel like you were answering that in it's the making, right? It's the process of making art. You know you and you're saying that everyone must do it. What are your thoughts on that?
P:
Yeah, that's a good question. What is success? I don't know. Even if the films wouldn't be successful, I probably would make them. But yes, INTO THE REALM OF THE NIGHT won an important prize at a small gauge film festival in Germany. And yeah, I’ll never forget this moment when was on the stage hearing my name at the awards ceremony. I would say it's wonderful when people that don't know yet your work get interested in what you're doing and your films. Because if you're making films, you want lots of people to watch it, not just three or five or 15 or on online festivals. Also you want to have them seen with and audience in a theatre. And people should talk about later and be confused also. And that's what art is all about. It should bring us to thinking a bit.
B:
Yeah, absolutely. Thank you. I appreciate that. Anything that you can tell me about how how you see your work evolving kind of through your projects and kind of how you're how it's inspiring you moving forward?
P:
With every with every film, I take some steps on the on the on my personal creative staircase. I couldn't make the the the next film without having made the film before it. So because I get feedback from the audience. Or there are films like my THE WINTER OF ETERNITY, that is actually an intellectual essay film that doesn't fit into horror film festivals, for example, But I absolutely wanted to make it because it's it's also about my life. So filmmaking evolves and also the abilities of the filmmaker. I'm for for example, I'm much, much faster today with with filmmaking that I then I was in the past. So my last film only took a month or so for editing. And so it was so, so fast that because I wanted to have the deadline not, not not to be missed. I'm quite fast now.
B:
Amazing. That's so wonderful. So how many films right now do you have on the festival circuit?
P:
Three, OK, so it's INTO THE REALM OF THE NIGHT and the next one, THE WINTER OF ETERNITY, a St.-Exupéry adaptation.
And the latest one, ANCIENT LORE. It's a Lovecraft poem in a 2-strip Technicolor look and shot on 16 mm. And and this film is not only at the Lovecraft Film Fest in Portland, it was also in Providence. But now the best thing is that it runs at one of the most important Italian genre Film Festivals, the Fantafest in Rome. It's the 43rd edition, the festival is as old as I am. It's from 1981. So this is quite amazing. Some of my favorite directors, like Dario Argento have been screened there. Showing my short 5 min film is a huge honor.
B:
That's a huge honor. Congratulations. Well, you have many things to celebrate, my friend. You are doing so much and it's always so interesting to learn about your process your your art is amazing very excited for you and what you're doing and I also appreciate your time always right. I appreciate learning from you about how I can do better, how we can do better, because we just want you to keep making work. So we're excited about it always.
P:
Thank you.
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Transcript of the video Q&A for BLINK OF NEON EYES with festival director Vivian Martinez (VM) and Patrick Müller (PM) from the 12th FESTIVAL ANGAELICA on December 7th, 2020. The film was later awarded BEST INTERNATIONAL EXPERIMENTAL FILM.
VM: Hello everybody, my name is Vivian Martinez back with Angaelica Conversations 2020. I’m talking to the filmmaker of BLINK OF NEON EYES, Patrick Müller. Can you tell us what you did on the film?
P: BLINK OF NEON EYES is a short film that I have shot in Las Vegas last year. I was on a road trip across the USA and being my first visit to the United States, I had my Super 8 camera with me. In San Francisco I bought new and fresh Ektachrome in a shop called Glass Key Photo which was quite tricky to find. I was always interested in Las Vegas: There is a special atmosphere, the air is very dry, you almost can’t breathe at 40 degrees celsius. Almost no humidity. Everything there was bigger than life and artificial. It has also an interesting history: people came to Las Vegas to watch the atomic bomb tests in the 50s, the mafia was there or Howard Hughues, the American business magnate and film director who invested there and so on. Quite a history. Apart from the historically charged atmosphere, i got fascinated by the neon signs there. They instantly reminded my of the films noirs of the 40s and 50s. Back then, the film stock wasn’t so fast so you only saw the neon signs but nothing else. With the Super 8 camera and the ASA100 film stock it was almost the same so I could recreate the atmosphere that I has in mind. I grew up in a small village in Germany and feel always uncomfortable in huge cities, so everything came together for this film.
VM: There are so many LED lights now, so it’s just not just neon any more. There is actually an old Neon air museum if you got to Las Vegas, where you can see all the old signs.
P: Yes, I’ve been there, but in daylight. It reminds me of an old cemetery. They keep the signs that aren’t used any more. You have signs from things that don’t exist any more, like signs of Liberace. You can touch them, but they really shine when they are illuminated during the night. In modern Las Vegas, you’re right, there are also many LEDs now. They are interesting because they can display images, like moving roman or greek pillars on the front of a building, and they are constantly transforming and fading, like a cross-fade in a movie. It is wonderful, but you constantly think about yourself as a human being surrounded by these artificial things, the capitalism and the temptations. What a combination!
VM: They say that Las Vegas is „The City of Sin“. I am definitely intrigued by Las Vegas, I used to go there as a kid and remember being just overwhelmed by the city, the lights and the people. It is almost grounding in a way, everything is so strange that you remember that you are just this little human in this giant world. Because Las Vegas is so big and grandiose and everything they do there. So this was your first time in Vegas?
PM: Yes, and my first time in the USA. Las Vegas was like a parallel universe. I travelled to Italy for a couple of years and saw the Vatican and Rome. All the art and the marble statues. In Vegas you have some of these statues by Michelangelo, too. But they look unreal. You have pillars with USB slots. That’s quite funny and strange if you compare these two worlds.
VM: I think it is the Venetian where you can go inside and it looks like the daytime. This was one of the most surreal moments of the Las Vegas strip for me.
PM: The Venetian has a twilight felling, it’s not dark, it’s the twilight. It is not good for your mood if you stay too long there. Surreal is maybe the best way to describe it.
VM: So is that why you have made this surreal film, to match the mood of this city?
PM: Most of my films are poetry films. I always confront words with images. This film was a new approach to me because there is no written poem in it. It was important to me that a friend of mine, the musician Wellenform from Chemnitz, Saxony, made a modular synthesizer music for it. He has all this old equipment from the seventies. It’s a huge box, like a patchwork. You can make these strange noises with it, they sound a bit like if you are deaf and you can hear for the first time. This was very fitting to the desserted images I’ve found, like on an alien planet.
VM: Yes, it definitely feels like that. And the music scape that you’ve created, I thought it was gorgeous. And I could tell that they are modular synths sounds. Did you use any digital stuff for this film?
PM: No. The premiere was at the Braunschweig International Film Festival, it was a film concert with me and Wellenform. Quite a nice evening. The Music of BLINK OF NEON EYES was live recorded. I always want to present my work on film, so I used a 16mm blow-up print in analog projection. It even intensifies the effect because everything gets magical. When we had decided that this is the best music for it, the film then went to other festivals, like yours.
VM: The music works perfectly, it lens to the feeling of being in that alien world and I can only imagine of being there for the first time as an adult that you absorb all of this imagery. I’m glad you had your super 8 camera because it captures it really, really beautiful. Like you said in these old film noir films with those images sort of going by. Which, I mean, those images never originated on the Las Vegas strip. So it’s interesting to see the new LED signs shot through the millimeter. Was it your intention to get all the signs at first or did you go for the neon signs?
PM: In this case it was important to see things for the very first time. I intuitively shot things that quite hooked me: hearts, strange signs of words, news, like the death of the player or even the cars on the street. It is my fortieth film now, i guess if I see something I know if it is worth filming of not. I don’t have to cut out too much. I only used one cartridge of Super 8 film. This is not much, but it’s good in order to constraint yourself. You only have 3 minutes of film and you can’t mess around with it. So we have all these fragments and movements.
VM: It is absolutely amazing. Is there anything you want to leave the audience with when they walk out of the theatre?
PM: Stay true to yourself, stay healthy, eat fresh food and don’t live in a desert. *smiles* Enjoy your life and shoot film!
VM: This was our only Super 8 film in this festival this year. It is a fantastic film, thank you so much for talking to me. Thank you!
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Q&A zum Film EIGENTLICH IST DAS KEIN FILM anlässlich seiner Projektion auf dem 10. Zebra Poetry Film Festival in Berlin am 6. Dezember 2019. Es wurden interviewt: Marco Kerler (Lyriker) und Patrick Müller (Filmemacher).
I: Marco, das sind sehr viele Sätze. Wieviele hast du eigentlich gesammelt?
M: Es war eigentlich nicht als Gedicht geplant. Das war ein Wutanfall von mir in einer Diskussion, wo ein Typ das Wort "eigentlich" verwendet hat. Mich hat das so aufgeregt, ich explodierte und machte das Internet aus. Am nächsten Tag schaute ich wieder hinein und sah, dass es den Leuten so gut gefallen hat. Ich dachte, dann ist das doch eigentlich auch ein Gedicht. So ist das entstanden.
I: So ist das also vollständig, es gibt also nichts, was du nicht verwendet hast? Denn es scheint ja unendlich fortführbar.
M: Ich habe ihm Nachhinein etwas gestrichen.
I: Was ist so spannend an dem Wort "eigentlich"? Im Film fällt der Satz "Eigentlich ist das neue vielleicht". Ich glaube es geht viel viel weiter.
M: Ich weiß nicht. Man kann damit unglaublich spielen. Ich habe zum Beispiel diesen perversen Satz drin: "Eigentlich ist das keine richtige Vergewaltigung"! Wenn jemand wirklich so etwas ernsthaft denkt, dann ist das ein Mega-Arschloch. Aber solche Sätze werden ja tatsächlich im Leben gesagt. Oder dieser Nazi-Satz "Eigentlich habe ich ja nichts gegen Ausländer". Das ist unglaublich. Und man hört ihn dann trotzdem im Alltag! Ich glaube, das fing auch damals an, dass ein Buchhändler sagte: "Eigentlich könntest du doch reich sein" Und ich sagte: "Eigentlich wollte ich pünktlich sein" und ich sagte "Ja, dann musst du meine Bücher verkaufen."
I: Ich finde das spannend. Im Internet wird das permanent benutzt, das hat viel mit Rollendistanz und kognitiven Dissonanzen zu tun. Man versucht es immer wieder zurecht zu schieben. Und gleichzeitig, ich weiß nicht, ob du das weißt, gibt es auf dem neuen Deichkind-Album ein Lied "Quasi", bei dem alle Sätze beginnen mit "Eigentlich bin ich kein Nazi, aber das geht echt zu weit." Es gibt also wirklich einen Grund, dass dieses Wort sehr wichtig ist. Und jetzt schwenke ich zu Patrick Müller. Was hat dich an dem Ding gereizt, wieso wolltest du einen Film daraus machen?
P: Man hat so viele widersprüchliche Äußerungen von dem Protagonisten, diesem denkenden Kopf. Das Wort "eigentlich" war für mich einfach davor. Mich interessiert viel mehr diesen Widerspruch an sich. Man kann ihn nicht festnageln auf irgendetwas. Aber er spielt auch mit den Erwartungen des Zuschauers. Man denkt: Irgendwann habe ich ihn verstanden. Bei alldem Gesagten beginnt man zu glauben, dass man weiß, wie der Protagonist tickt. Aber dann will er plötzlich die Frau heiraten, dann kommt die Schwägerin ins Spiel, alles ist irgendwie enthalten, so dass man nicht weiß, wer er wirklich ist. Weil das offen bleibt, ist der Zuschauer stark gefordert, sich eigene Gedanken zu machen und eine eigene Haltung zu beziehen. Das finde ich interessant.
I: Ja, und auch, weil ich mich dabei ertappt habe, dass eigentlich auch ich diese Person sein könnte. Weil ich viele Sätze auch selbst sagen könnte. Das ist ein sehr schönes Zurückwerfen auf meine eigene Person, meine Haltung als Zuschauer. Der Begriff transportiert für mich auch diese ewige Unentschlossenheit à la "Eigentlich muss ich noch gehen, aber ich bleibe einfach noch fünf Minuten". Dieses ständige Sich -umorientieren. Hast du deswegen vielleicht dieses Kaleidoskop gewählt?
P: Ja! Das Kaleidoskop hatte ich vor sechs Jahren von einem guten Freund geschenkt bekommen. Ich war so fasziniert und habe immer wieder durchgeschaut. Als ich das Gedicht von Marco las, ich kannte ihn schon ein paar Jahre, kam plötzlich alles zusammen. Ich dachte: genau dieses Gedicht, "Eigentlich ist es kein Gedicht" heißt es ja, ist das, was man sieht, wenn man durch das Kaleidoskop schaut. Es ist völlig unberechenbar, man weiß nicht, was als nächstes kommt, wenn man es dreht. Es bringt immer wieder neue Bilder und verblüfft einen auch. Immer wenn der Zuschauer denkt, er weiß was als nächstes kommt, können die Bilder ihm auch ein Schnippchen schlagen. Manchmal passt es, manchmal nicht.
I: Du sagtest, ihr kennt euch schon eine Weile. Hast du am Film mitgewirkt?
M: Er ist extra nach Ulm gefahren, aber da ging der Film ziemlich schnell kaputt. Wir haben gar nicht soviel gedreht damals. Aber ich habe es in Ulm noch eingesprochen.
P: Ich hatte festgestellt, dass das Kaleidoskop genau vor die Festbrennweite passt. Das fand ich unglaublich faszinierend, ich konnte also genau sehen, wie sich das Bild verändert. Gedreht habe ich mit der Logmar, einem Prototyp der neuen Super-8-Kamera.
I: Das hat ja auch mit der Lichtintensität zu tun. Da habe ich mich gefragt, wie das funktioniert. Hast du lange passende Motive gesucht?
P: Ich bin einfach etwas jazzig herangegangen. Erst suchte ich einen interessanten Ort und habe etwas herumprobiert, bis ich wusste, in welche Richtung es sich entwickeln soll. Ich brauchte vier Super-8-Kassetten dafür.
Publikum: Is it possible to explain the Kaleidoscope in English? Thank you.
P: I'm not sure if I can explain it correctly, but from a technical side it is a tube with optics inside. You can watch through that instrument and you can move it with your hand. It shows you aspects of reality like litte jewels. Like an insect with its complex eyes. That's kind of interesting, because it constantly surprises you. You look through it and see a boring landscape or the neighborhood with fresh eyes. That's a very poetic and beautiful thing.
Publikum: What lens did you use?
P: It's a 25mm Kern lens, originally intended for the use with a Bolex, but it fits in front of the Super 8 camera. The Kaleidoscope fits at the end of the lens, I could move it with my right hand. After I had processed the film stock and the film stock was on the dryer, you could see all the little jewels sparkling. It looks like a magical tapestry.
I: Du sagst, du entwickelst selbst. Bist du Teil eines Labors von FilmemacherInnen, die mit Super 8 experimentieren?
P: Ja und nein. Seit 2013 hatte ich mit Super 8 begonnen. Das Schöne daran ist, dass man damals sofort Teil einer kleinen Gemeinschaft wurde von Menschen, die mit diesem Medium filmen. Man trifft sich auf Messen und hilft sich bei technischen Belangen. Irgendwann habe ich auch gelernt, selbst zu entwickeln, was sehr schön ist, das man mit dem Material direkt arbeiten kann. Das passt wunderbar zu Poesie, weil es ein poetisches Medium ist.
I: Unbedingt. Es ist ja auch vergängliches Material, es kann verkratzen und bleicht aus. All die Dinge, die digitales Material nicht kann, weil es nur null und eins kennt. Noch eine technische Frage zu dieser Super-8-Kamera. Ist das einfach nur ein Prototyp oder ist da noch etwas neu daran im Vergleich zu den alten Kameras.
P: Die Logmar wurde vor zwei Dänen erfunden, die erste neue Super-8-Kamera seit fast 40 Jahren. Der Film wird aus der Kassette herausgeführt und unter eine Andruckplatte geführt, so dass man extrem scharfe Bilder erhält. Außerdem hat sie einen ausklappbaren LCD-Screen, wie man es bei Camcordern kennt. Dadurch sieht man alles exakt so auf dem Bildschirm, wie es aussieht.
I: Marco, du hast es selbst eingesprochen. Mir scheint, dass dieses dieses Einsprechen nahezu das einzige dramaturgische Element ist. Hast du das zum Bild eingesprochen oder separat gemacht?
M: Separat. Ich war gerade nüchtern und ging ins Hotelzimmer, war etwas fertig. Das kommt recht gut rüber. Es freute mich, dann eine so klare Aufnahme zu haben. Super gut.
I: Ich frage deshalb, weil es dann ja auch etwas ruppiger wird und ein Bogen entsteht. Spannend ist, dass im Untertitel "But" steht, aber das Wort im Deutschen nicht vorkommt.
P: Übersetzt wurde es von Tommi Brem aus Ulm, das ist eine Entscheidung des Übersetzers.
I: Ich fand spannend, dass das "aber" im Nebensatz die Ausrede einleitet.
M: Tommi hat mir das erklärt. Im Deutschen sei das Wort aber bereits im Wort "eigentlich" drin, im englischen "actually" hingegen nicht, weshalb er sich so entschieden hat. Ich finde großartig, dass wir schon von Muttersprachen gelobt worden sind, es sei eine super Übersetzung.
I: Marco, ich hatte letztens deinen Blog gelesen, wo du schreibst. Da steht einfach nur: "Marco Kerler kritzelt und nennt es Texte". Find ich super cool. Du hast ein neues Buch herausgebracht, wie heißt das?
M: Es heißt: "Als hätte sie eine Kirche entweiht." Erschienen bei Rodneys Underground Press, Dortmund. Ein Verlag, der nicht im Buchhandel erhältlich ist. Er bringt seit 27 Jahren Undergroundlyrik heraus.
I: Vielen Dank!
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Q&A zum Filmkonzert WELLENVORM + PATRICK MÜLLER mit der Deutschlandpremiere von u.a. THE GARDEN und der Weltpremiere von BLINK OF NEON EYES auf dem 33. Internationalen Filmfestival Braunschweig am 24. November 2019. 16mm-Filmprojektion mit Trautonium-Synthesizer-Livemusik. Clemens Williges interviewte Patrick Müller (Filmemacher) und Uwe Rottluff alias WellenVorm (Komponist).
Publikum: Vielen Dank für diesen netten Abschluss der Filmfestivalwoche, es war wirklich beeindruckend. Mich würde interessieren, wie ihr zusammengefunden habt, wie ist die Zusammenarbeit entstanden?
P: Die ersten drei Filme sind tatsächlich als Stummfilme entstanden. Das heißt, dass sie ursprünglich ganz ohne Musik konzipiert waren, eine leidenschaftliche Hinwendung zur Beschäftigung mit echtem Filmmaterial. 2015 wurde mir gesagt, dass es den Chemnitzer Musiker WellenVorm gebe, der sie gerne vertonen würde. Also gab es eine Veranstaltung für die Chemnitzer Tage der Industriekultur in einem alten Museum. Das war ganz faszinierend. Als ich die Musik hörte, gefiel mir, wie warm und organisch sie klingt und sie eine gute Symbiose zum Filmmaterial eingeht, was ja auch etwas ganz Unmittelbares ist. Licht fällt durch das Objektiv auf den Film, belichtet es, und bei der Projektion fällt es wieder durch den Film auf die Leinwand. Für die späteren WALPURGISNACHT und THE COLOUR OUT OF SPACE suchte ich ebenfalls eine besondere Musik: für WALPURGISNACHT eine jagende, unheimliche Musik, für THE COLOUR OUT OF SPACE eine eine kindliche, unscheinbare Melodie, die sich ins Intensive steigert, wie die Spielhandlung.
U: Patrick hatte mich bei einem Konzert gehört, damals hatte ich beim Label MellowJet schon zwei Alben veröffentlicht. Einmal TÖNE DES NEBELS, verwendet für WALPURGISNACHT, und PETRIFIED FOREST, die Vertonung des Versteinerten Waldes, verwendet in THE COLOUR OUT OF SPACE. Die zwei fertigen Stücke passten perfekt und wurden noch etwas angepasst. Ganz anders bei THE GARDEN, der ganz anders konzipiert war. Hier hatte ich zuerst den Film gesehen und danach die Originalmusik geschrieben. Das war für mich sehr spannend, mich auch im Atonalen zu versuchen.
Publikum: Ich bin fasziniert, ich habe noch nie solche Filme gesehen. Ich bin schon etwas älter und habe viel Theater und dies und das besucht, aber so etwas habe ich noch nie gehört, ganz toll.
P: Besonders bei THE GARDEN ist, dass eines der Instrumente ein Trautonium ist. Es sollte Klänge liefern, die wie aus dem Jenseits kommen. Wie aus einem Traum, in dem er sein eigenes Ich sieht. Die Musik sollte auch Lovecraft kränkelnde, zerrissene Persönlichkeit widerspiegeln.
Publikum: Gab es ein Einstiegsinstrument? Es ist ja schon ziemlich speziell und interessant, dass man alles gleichzeitig so koordinieren kann. Gab es ein Instrument, dass Sie zuerst gespielt haben und dachten, Ihnen reicht das Klavier nicht mehr?
U: Meine ersten Wurzeln sind ganz traditionell: Musikschule und Akkordeon, auch Orgel. Später habe ich die Liebe zu Synthesizern gefunden, was mich aber bei den Synthesizern irgendwann nicht mehr zufriedenstellte, ist die Dynamik. Gerade dieses Fingerboard ist ein Instrument, das man sehr dynamisch spielen kann. Oder beim Trautonium kann ich mit dem Finger ein Vibrato erzeugen. Auf dem Haken-Fingerboard hat eine Neoprenoberfläche, auf der man herrlich gleiten kann. Darunter sind viele Blättchen, womit man herrlich dynamische Musik kreieren kann, die man mit einem normalen Synthesizer, so würde ich behaupten, so nicht kann. Eine Symbiose also aus vielen Dingen.
Publikum: Komponieren Sie da die Stücke oder bauen sie es nacheinander auf und fühlen, was zusammenpasst?
U: Eigentlich arbeite ich wie an einem Bild: Ich habe eine Idee, und dann fange ich an, weiter zu malen. Ich lasse mich dann treiben. Oft weiß ich nicht einmal, ob es zu Ende ist. Mein drittes Album soll nächstes Jahr veröffentlicht werden. Daran habe ich drei Jahre gearbeitet.
Publikum: Ich habe noch eine Frage zum Film. Du hast Bilder gefilmt. Was kommt aber zuerst? Hattest du zuerst das Gedicht im Kopf und suchtest die passenden Bilder oder ist das umgekehrt? Wie gehst du da vor?
P: Bei der Kreativität ist es ja so, dass irgendwann in einem richtigen Moment alles zusammenkommt. Zum Beispiel bei THE GARDEN: Seit ich sechs Jahre alt war, bin ich fasziniert von Louisiana-Moos, welches in den Südstaaten als Spanish Moss die Bäume herabhängt. Wenn man es schüttelt, fallen Käfer heraus. Es ist für mich fast schon wie der böse Fluch der Südstaaten. Zeitgleich sieht es wunderschön aus, als würde es still Trauer tragen. Vielleicht wegen der bewegten Geschichte? Man weiß es nicht. Also eine interessante Pflanze, die eine Bromelie ist. Diese zu filmen hatte ich im Sinn. Auch bei THE COLOUR OUR OF SPACE war zuerst dieses lilafarbene Filmmaterial da. Es interessierte mich, was man wohl damit anstellen könnte. Dann habe ich den Aspekt der Geschichte beschrieben, wie sich die Natur durch den Meteoriteneinschlag und die Farbe veränderte. Alles verändert sich und die Menschen werden wahnsinnig. Zugleich hat man viele Texte im Kopf, man liest. Eines kommt dann zum anderen. Als ich den Friedhof in Savannah sah, dachte ich sofort, dass es genau der Ort ist, um THE GARDEN zu visualisieren. Nur das Gedicht allein nützt einem also noch nichts, wenn man nicht auch weiß, wo man es wirkungsvoll umsetzen kann.
CW: Wichtig ist auch, darauf hinzuweisen, dass die Filme nicht digital verändert sind. Die Farbe aus dem All sieht so aus, wie auf diesem Film.
P: Zumindest meine Farbe sieht so aus. Die richtige Farbe hat noch niemand gesehen. *lacht* Zwar sieht man in Büchern, dass sie eine lilafarbene Anmutung haben kann. Es gibt jetzt auch demnächst einen Langfilm namens THE COLOUR OUT OF SPACE mit Nicolas Cage. Die Farbe dort sieht so ähnlich aus. Aber natürlich hat man in fast zwei Stunden viel mehr Zeit, eine Geschichte zu erzählen. Bei mir sind es vor allem Aspekte, die ich näher beleuchtet habe. Anfangs dachte ich, es sei schon ziemlich wahnsinnig, eine Kurzgeschichte von Lovecraft in fünf Minuten erzählen zu wollen. Aber ich dachte, es müsste doch möglich sein, weil ich so besessen von dem Material war. Ich erinnerte mich also an ein Buch, was ich früher mal gelesen hatte, worin beschrieben wurde, wie Claude Chabrol Madame Bovary verfilmt hat. Er kaufte sich Schulhefte, las den Roman in mehreren Durchgängen und schrieb nur das nieder, was ihn persönlich berührt hat. So ging ich bei THE COLOUR OUT OF SPACE vor: ich habe es mehrfach gelesen, auch das Hörspiel mit Ernst Meincke gehört, und dabei sind solche Dinge wie IT ALL BEGAN WITH THE METEORITE… hängen geblieben. Dieses Kondensat der Erzählung habe ich also gesammelt, um auch der Geschichte treu zu bleiben, und danach die Bilder dazu gesucht.
Publikum: Du hast das dokumentarisch gesehen. Hast du auch überlegt, es zu inszenieren?
P: Mich faszinieren einprägsame Orte. Alles ist irgendwo dort gefilmt, wo es vom Ansatz her passt. Aus Neu-England wurde eben England. Mich reizt, an starken Orten zu filmen und sich anschließend vom Material antreiben zu lassen. Wenn man stattdessen inszeniert, kann man es viel zu bewusst gestalten und in eine Richtung treiben. Ich mag aber, wenn Text und Musik eine Eigenständigkeit besitzen, die nicht illustrativ ist. Es wird wird eben ein Bild hinzugestellt, in dem vielleicht jeder etwas anderes sieht. Bei THE GARDEN haben wir eine abgebrochene Säule, ein Symbol eines frühen Todes in den Südstaaten, und dann kommt der Text: WAKEN THOUGHTS OF YESTERDAY. Dabei kann man eigene Assoziationen aufbauen. Ich mag dieses Spiel, dass diese gewisse Sperrigkeit dann beim Zuschauer etwas auslöst.
U: Das machte es auch für mich recht schwer, THE GARDEN zu vertonen. Oft dachte ich, fertig zu sein, dann sagte er, dass es noch nicht richtig sei.
P: Ja, inszenieren kann Richard Stanley besser, er hat ja schließlich Nick Cage! *lacht*
CW: Vor der nächsten Publikumsfrage würde ich noch gerne den Bogen zur Musik schlagen. Bei THE GARDEN sind das Gedicht als auch das Instrument ungefähr zur gleichen Zeit entstanden. Das Trautonium. Uwe, magst du uns noch etwas darüber erzählen? Vor allem bei deiner Ouvertüre hörte ich Anklänge zu Oskar Sala heraus, der damit die Musik zu DIE VÖGEL gemacht hat.
U: Das Trautonium wurden in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Trautwein entwickelt. Vor allem das Volkstrautonium war für die Hausmusik gedacht. Es wurden nur wenige Exemplare gebaut und dann war es auch schon wieder vorbei, als die Nazis die Macht ergriffen. Oskar Sala hatte dann ein Zweimanualiges, also ziemlich großes, genannt Mixturtrautonium, mit dem er DIE VÖGEL vertont hat. Hitchcock war sogar selbst bei ihm in Berlin uns ließ es sich vorführen.
CW: Sala hat je viel von seinem Wissen mit ins Grab genommen. Aber du hast jemanden kennen gelernt, der noch mit Sala gearbeitet hat?
U: Mein Trautonium wurde von einem Elektroingenieur gebaut, der es vor sechs Jahren auf den Markt bringen wollte und es auch bei der Musikmesse vorgestellt hat. Aber kaum jemand wollte es haben. Also hat er sein Projekt wieder eingestampft. Er hat es mir irgendwann gezeigt, und ich suche ja immer etwas puristische Instrumente. Je weniger sie können, um so besser, weil man viel mehr damit machen kann. Der Erbauer hat Sala auch noch kennengelernt. Leider hat Sala sein Spielwissen kaum weitergegeben.
CW: Ich finde tolle, dass du diese Tradition aufgreifst und versuchst, weiterzuführen.
U: Ich bin da noch am Anfang und nutze es noch in Symbiose zu meiner Musik. Sala hat ja komplett mit Trautonium gearbeitet. Ich nutze alle Welten, ob analog oder digital.
Publikum: Mich würde in Ergänzung zur Vorgängerfrage interessieren, ob das Feuer (in WALPURGISNACHT) schon da war, oder ob es gemacht wurde.
P: Ich glaube wirklich an die Magie des Ortes und die Kraft der Idee. Ich gehe dabei vor wie ein Surfer. Ein Surfer geht erst an den Strand, wenn die perfekte Welle da ist. Dann legt er los und weiß: er kann das Projekt starten. Sonst kann er zuhause bleiben und zehn Tage warten, weil es sonst sinnlos wäre. Am Tag des Drehs meines Films war tatsächlich Walpurgisnacht und ich hatte eine neue Kamera: die Logmar, eine Art Prototyp der neuen Super-8-Kamera, welche Kodak seit Jahren schon versucht, auf den Markt zu bringen. Mit dem Filmmaterial konnte man alles filmen, was man mit bloßem Auge nachts erkennen konnte. Also setzte ich mich mit der Schreibmaschine in den Garten. Ich schreibe jeden Filmtext immer erst mit meiner alten Erika-Schreibmaschine ab, ich muss ihn ins Papier hämmern, bevor ich ihn handschriftlich mit unzähligen Anmerkungen ergänze, die sich aus dem Text ergeben. An diesem Tag, Walpurgisnacht, gibt es bei uns ein großes Hexenfeuer. ähnlich wie mit dem Moos bei THE GARDEN, wollte ich schon seit Jahren etwas mit diesem alljährlich stattfindenden Feuer machen. An dem Tag war ich auf Theodor Storms Gedicht WALPURGISNACHT gekommen, das nur sehr selten in Werkausgaben enthalten ist. An dem Tag kam alles zusammen: der Film ist mehrfach gerissen, die Kamera hat den Film mehrfach perforiert, verwendet in der Vergewaltigungsszene, wo der Film aufreißt. An dem Tag waren auch alle Tiere der Nachbarn draußen, Ziegen und Katzen. Das sind alles okkulte Symbole, die die Protagonistin verführen. Auf dieser „Welle“ bin ich also den ganzen Tag gesurft und habe gefilmt. Am nächsten Tag habe ich die riesige Feuerstelle besucht und sie vom Boden aus gefilmt. Ich hatte allerdings nicht an das Kohlenmonoxyd gedacht, wodurch mir kurzzeitig schwindelig geworden ist. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Man sieht die Aufnahmen gegen Ende des Films. Das ist ein Beispiel für Aufnahmen, die ich mit Text verbinde. Die schroffe, kubistische Schriftart habe ich übrigens selbst entwickelt, sie war angelehnt an den expressionistischen Film DAS CABINETT DES DR. CALIGARI.
CW: Die Filme sind alle auf Patricks Vimeo-Kanal, ich habe sie mehrfach gesehen, aber ich muss sagen: so schön wie heute habe ich sie noch nie erlebt. Dieses Konzert wird in dieser Form auch voraussichtlich nie wieder stattfinden. Ich habe aber noch eine Frage: Bei I WENT TO THE WOODS, BECAUSE… findet man noch sehr ausführlich Passagen. Würdest du sagen, dass es dir im Laufe Zeit immer stärker gelungen ist, die Essenz eines Werkes einzudampfen? Bei THE COLOUR OUT OF SPACE sind ja nur noch die allernotwendigsten Passagen drin.
P: Im Zusammenhang gesehen ist das richtig. I WENT TO THE WOODS, BECAUSE… ist so ein Film, den will man machen, weil es mich seit meiner Jugend beschäftigt, wie man leben sollte. All möglichen Menschen sagen einem, was man zu tun oder lassen hat. Hier geht es massiv darauf, seinen eigenen Weg zu finden, mit der Natur zu leben, so wie das etwa Thoreau gemacht hat. Als bei ihm die Welt kopf stand, geht er in eine Hütte im Wald, versucht alles neu zu erfahren und zu lernen. Das konnte man kaum kürzen. Mir war es wichtig, aus diesem großen Buch, in etwa den Sinn DON’T LET UNIMPORTANT THINGS BECOME IMPORTANT zu extrahieren. Später habe ich Texte immer weiter reduziert, weil sie im Film recht sperrig sind. Aber ich liebe wiederum auch Text im Kino, ich bin ja ein großer Eric-Rohmer-Fan, in dessen Filmen sehr viel gesprochen wird. Rohmer sagt da immer, dass er es schön findet, wenn Leute sich im Kino intelligent unterhalten.
CW: OK, dann unterhalten wir uns weiter im Kinosaal. Gibt es noch Fragen?
Publikum: Wie findet du deine Drehorte? Fährst du mit dem Auto herum, findet den Friedhof, gehst ihn ab und verwende ihn im Film? Oder finden dich deine Drehorte?
P: Beides! Bei I WENT TO THE WOODS, BECAUSE war es der letzte schöne Sonntag des Jahres 2013, an dem ich einfach in den Wald gegangen bin, ähnlich Thoreau. Ich hatte zuvor die alte Kamera meines Vaters vom Dachboden geholt, legte Doppelsuperacht-Film ein und filmte in drei Stunden diese Texte, welche ich vorher zusammen gesammelt hatte. Ich war also an einem Ort, an dem ich es umsetzen konnte. Nur der letzte Film fällt da aus der Reihe. In BLINK OF NEON EYES gibt es keinen Text. Stattdessen habe ich versucht, die erdrückende Atmosphäre dort abzubilden. Man ist umringt von übermächtiger Reklame, die Luft ist unglaublich heiß und drückend, kaum Luftfeuchtigkeit, überall Chlorgeruch. Eigentlich eine unmenschliche, unwirkliche Atmosphäre. Man begibt sich in eine seltsame Welt, der ich versucht habe, experimentell mit Film zu begegnen. WellenVorms Musik der Livevertonung habe ich übrigens vorher noch nie gehört, da war ich vorher sehr aufgeregt, wie das mit dem Modular-Synthesizer wohl klingt.
CW: Uwe, wir sprachen schon über das Trautonium und den digitalen Synthesizer. Aber hier hast du ein großes Schmuckstück, das die Größe eines Küchenschranks hat. Kannst du dazu etwas sagen?
U: Die Anfänge des Synthesizers sind in den 60er Jahren. Bob Moog war ein Ingenieur, der Module entwickelte und damit Töne erzeugen wollte. Da es einen Synthesizer mit Tasten nicht gab, wurde es einzeln gebaut. Der Oszillator wurde einzeln gebaut, auf ein Rack geschraubt und mit Kabeln einfach verbunden. Dieses System ist von einer Firma aus München, der sich sehr damit beschäftigt hat, es unwahrscheinlich original klingen zu lassen. Sehr rau und organisch. Er hat es meines Erachtens geschafft, den Klang einzufangen, wie er damals wirklich war. Ich habe ihn aber anders genutzt, als es gedacht war, weil ich damit Geräusche erzeugen wollte, die zu dem Thema gepasst haben.
Publikum: Es ist ja heute wundervoll anachronistisch, auf Zelluloid zu drehen. Ich möchte fragen, was es für dich bedeutet?
P: Ich habe in den letzten 10 Jahren über 40 Kurzfilme gedreht und da ist es so, dass ab 2012 ein Punkt gekommen war, dass ich mit dem Digitalen, wo man immer alles so sieht, wie es ist und relativ überraschungsfrei arbeiten kann, an dem ich ermüdet war. Ich wollte etwas Neues versuchen. Lomography brachte damals die Kurbelkamera LomoKino heraus, man hat den Film L’ÉTERNITÉ vorhin gesehen. Ich hatte also in der Bretagne 30 Kleinbildpatronen verdreht und habe drei Wochen lang 5000 Einzelbilder mit dem Diascanner eingescannt. Auf diese radikale Weise habe ich mich wieder ganz neu mit dem Bild beschäftigt: man sucht es aus und gewichtet es. Man bekommt wieder eine ganz unmittelbare Beziehung zum Filmemachen. Wenn man heute analog dreht, trifft man unweigerlich sehr viele nette Leute aller Altersklassen, die eigentlich nur die Liebe zu Film und alten Kameras vereint. Diese rieten mir damals, gleich auf Super 8 zu drehen. Ich holte also die dreißig Jahre alte Quarz-Doppel-Super-8-Kamera meines Vaters und legte los. Filmmaterial ist etwas ganz besonderes. Filmemacherin Dagie Brundert aus Berlin sagt so schön, dass „Film das Korn hat, und es die Seele des abzubildenden Objektes einfängt.“ Das ist natürlich wunderbar für Poesiefilm. Man hat also den Film belichtet, bei dem erstaunlich weniger schief geht, als man denkt, entwickelt ihn und sieht plötzlich zigtausend kleine, bunte Edelsteine funkeln. Das ist wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Außerdem hat man diesen Abstand, bei dem man nach ein paar Wochen das Material völlig neun wahrnimmt. Für die Art Filme, wie ich sie mache, ist das sehr befriedigend, weil ich die kleinen Überraschungen willkommen heiße. Bei der Entwicklung von THE GARDEN in New Bedford schwenkt die Kamera beispielsweise bei der Zeile DULLS THE FRAGRANCE OF THE AIR schwenkt die Kamera in die Luft. Offenbar hatte man bei der Entwicklung da nicht sauber gearbeitet und die Stelle war voller Schmutz und Fussel. Das passte hervorragend zur Szene. Aber auch die Arbeit mit alten Kameras, wie einer Nizo oder einer Bolex und deren Wertschätzung, ist wie ein Jungbrunnen des Filmemachens. Jeder Film ist wie ein neuer Sensor. Ich kann Wittnerchrome 200D mit impressionistisch dicker Körnung einlegen, oder den neuen Ektachrome. Im Dezember 2019 läuft auf dem Zebra Poetry Film Festival in Berlin mein Film EIGENTLICH IST DAS KEIN FILM, den ich beispielsweise mit einem Kaleidoskop gedreht habe.
CW: Ich finde, dass man das als Zuschauer auch gut nachempfinden konnte, das schöne warme Schnurren, bevor die Musik einsetzte. Ich habe noch eine letzte Frage zu THE GARDEN. Im Gegensatz zu allen anderen Filmen ist das ja ein Tonfilm. Wie habt ihr das gelöst, denn es kam ja kein Ton von der Tonspur?
P: Uwe hat die Aufnahme von Bernhard Planks Stimme auf sein Board getan und synchron abgespielt. Deshalb mussten wir ganz genau arbeiten, mit Countdownbändern. Das synchron mit Liveton zu bieten, war schon eine große technische Herausforderung für uns.
U: Der Text war sehr musikalisch gesprochen, deshalb musste er drin sein. Ich fand den Sprecher wahnsinnig gut.
CW: Ganz herzlichen Dank! Das war das 33. Internationale Filmfestival Braunschweig!
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Q&A zum Film SÄV, SÄV, SUSA anlässlich seiner Deutschlandpremiere auf dem 18. Flensburger Kurzfilmtagen am 16. November 2018. Prof. Jim Lacy interviewte Patrick Müller (Filmemacher).
J: Willkommen in Flensburg! Glückwunsch zum Film und toll, dass du da bist. Kann ich eine Frage stellen, bevor ich zu den Inhalten komme? Du hast auf 16mm gedreht, der Film sieht super cool aus. Warum dreht niemand mehr auf Film?
P: Ich kenne eigentlich viele, die derzeit auf Film drehen. Gerade in der Experimentalfilmerszene ist das wieder interessant. Ich beobachte, dass heutzutage diejenigen, welche auf Film drehen, sich stark vernetzt haben. Man trifft sich mehrmals jährlich, tauscht sich aus. Denn Filmemachen ist auch Handwerk: es geht ums Entwickeln, was ist zu tun, wenn der Film reißt, wie es bei SÄV, SÄV, SUSA bei minus 15°C der Fall war, etc. Film ist ein wunderbar poetisches Medium: das Filmkorn fängt gewissermaßen die Seele der Objekte ein. Dadurch verschönert es vielleicht auch das eine oder andere Projekt. Von daher kann ich nur dafür plädieren, es einmal mit Film zu versuchen!
J: Und Andec, die gibt es noch? Die Firma, die das Material entwickelt hat.
P: Andec ist eine der größten Entwicklungsfirmen in Europa. Das Schwarzweiß-Material ist Fomapan aus Tschechien. Nach dem Dreh habe ich es persönlich vorbei gebracht. Eine Woche später war es entwickelt. Es ist immer wie Weihnachten und Silvester zusammen, wenn man es zum ersten Mal durch den Projektor laufen sieht. Dann ist man glückseelig.
J: Toll! Eine super Entscheidung finde ich das Schwedische. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber die beste Popmusik kommt aus Schweden! Ich kann es mir auch als Abba-Musikvideo vorstellen. Ich liebe diesen Klang.
P: Das gibt es!
J: Was? Es gibt es ein Abba-Lied zu deinem Film?
P: Nicht Abba, aber vielleicht kennt jemand die Band Mando Diao. Sie haben ein ganzes Album nur mit Gustaf-Fröding-Liedern gemacht, was ich aber erst danach entdeckt habe. Vor einigen Jahren habe ich den einzigen aktuellen Übersetzer kennengelernt, der Fröding jahrzehntelang kongenial ins Deutsche übersetzt hat. Klaus-Rüdiger Utschick in München. Ein richtiger Renaissancemensch: er singt, spielt Klavier und brennt und lebt für diese Texte. Als ich ihn fragte, ob ich SÄV, SÄV, SUSA, eines der schönsten schwedischen Gedichte, verfilmen darf, sagte er: Gerne, da spreche ich den Text gleich ein. Das war super, weil erst dadurch der Film so richtig lebt.
J: Und Fröding hat nicht einmal so weit von dir gewohnt, er hat in Görlitz gelebt. Das hat eine regionale Bedeutung. Er war dort im Sanitorium, war krank und hat dort gelebt. Vielen Dank für den Film, toll, dass du da bist.
P: Vielen Dank!
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Q&A zum Film THE COLOUR OUT OF SPACE anlässlich seiner Deutschlandpremiere auf dem 31. Internationalen Filmfestival Braunschweig am 20. Oktober 2017. Clemens Williges interviewte Patrick Müller (Filmemacher) und Uwe Rottluff aka WellenVorm (Komponist).
C: THE COLOR OUT OF SPACE, die Kurzgeschichte von Lovecraft, ist seit den 60er Jahren mehrfach verfilmt worden. War das dein Ansporn, der Geschichte etwas völlig Neues abzugewinnen?
P: Die Geschichte selbst kannte ich tatsächlich bis dahin nur vom Titel her und bin völlig unbefangen herangegangen. Es begann vor einigen Jahren, als Lomography diesen seltsamen, lilafarbenen 16mm-Farbnegativfilm auf den Markt gebracht hatte. Über all im Internet war die Frage, was man denn damit anfangen solle: Die Menschen sähen krank aus und die Pflanzen sind in seltsamen Farben dargestellt. Da ist mir Lovecrafts THE COLOUR OUT OF SPACE in den Sinn gekommen, in welcher in Teilen der Geschichte die Natur transformiert wird, andere Farben hat und sich der Horror langsam und in vielen Andeutungen, unheilvoll ausbreitet, ohne allzu konkret zu werden.
C: Ja, ich denke, das ist dir gelungen. Kommst du von der Literatur her, oder vom Material?
P: Gewissermaßen beides. Aber die starke Beschäftigung mit Lovecraft als Autor ist erst nach dieser Filmidee erwachsen. Ich kannte von ihm zu Beginn nur die Verfilmungen anderer seiner Werke, insbesondere diejenigen von Stuart Gordon. Meine Version von THE COLOUR OUT OF SPACE ist jedoch völlig ohne Kenntnis der späteren Verfilmungen entstanden, etwa die von Huan Vu aus dem Jahre 2010. Diese habe ich mir bewusst erst danach angesehen.
C: Du bist also nicht in der Lovecraft-Szene? Die Weltpremiere hatte dein Film ja auf dem H.P. Lovecraft Festival in Oregon, Portland. Wie ist er dort aufgenommen worden, also von Leuten, die viel stärker in der Materie stecken?
P: Positiv! Das freut mich natürlich sehr.
C: Gibt es Fragen aus dem Publikum?
Publikum: Wo hast du das gedreht?
P: Ich habe den Film in England gedreht, im Dartmoor. Dabei habe ich versucht, Entsprechungen zu den Originalschauplätzen zu finden. Das verfluchte Gebiet, „Die verfluchte Heide“ heißt es bei Lovecraft, ist nun das Dartmoor. Man kennt es vielleicht aus Arthur Conan Doyles „Der Hund der Baskervilles“. Da ist der Ort auch verflucht, weil Sir Hugo Baskerville einst im Krieg ein Mädchen zu Tode gehetzt hatte, weil es ihm nicht zu Willen war. Und auch für den Meteoriten habe ich eine Entsprechung gesucht und gefunden: Avebury! Manchen kennen den Ort vielleicht von Derek Jarmans Super-8-Film JOURNEY TO AVEBURY. Ähnlich Stonehenge hat man dort diese Steinkreise, welchen eine besondere Magie verströmen sollen. Ich habe dort zwar keine Farbe gesehen *schmunzelt*, aber es war schon etwas ganz Besonderes. Dergleichen Analogien habe ich für den Film gesucht, der mittels vieler Andeutungen arbeitet. Man kann also dem Film auch folgen, wenn man die Geschichte, Lovecrafts Lieblingsgeschichte, noch nicht kennt.
C: Große Bedeutung für das Gesamterlebnis hat auch die Musik von WellenVorm, also von dir, Uwe. Hast du zu den Bildern komponiert oder war das ein wechselseitiger Prozess?
U: Das Stück ist aus meinem Album, PETRIFIED FOREST. Grundsätzlich sind meine Konzerte so angelegt, dass den Leuten Bilderwelten entstehen sollen, während sie zuhören. Im Januar 2017 hatte ich ein großes Konzert in Chemnitz gegeben: mit Lasershow und dem Versteinerten Wald. Patrick war Zuhörer und ist begeistert an mich herangetreten, ob er das Stück für seinen Film verwenden kann.
P: Diese kleine Melodie, welche sich ganz langsam aufbaut und stärker wird, hat für mich unglaublich mit dem Stoff korrespondiert: die Farbe, welche sich ganz langsam mit dem einhergehenden Grauen einschleicht. So wie ich mit analogem Filmmaterial arbeite, nutzt Uwe analoge Synthesizer, die eine besondere Wirkung haben.
U: Was mir immer auffällt ist, wie gut meine Musik zu Patricks Filmbildern passt, eine Verzahnung. Ich habe bereits schon mehrere seiner Filme vertont, morgen läuft zum Beispiel WALPURGISNACHT.
C: Ich kann das nur bestätigen. Eine Frage habe ich doch noch: Wenn ich mir deinen Film anschaue, kommt es mir doch vor wie ein Stummfilm mit Musik. Habt ihr euch schon einmal überlegt, eine Art Live-Event mit einer Sammlung deiner Filme zu machen?
P: Das gab es schon vor ein paar Jahren, als einige meiner Kurzfilme bei den Chemnitzer „Tagen der Industriekultur“ von Uwe livevertont wurden. Ich habe ihn und seine Musik da zum ersten Mal kennengelernt. Stummfilmkonzerte, also Livemusik und Film, üben auf mich immer einen besonderen Zauber aus.
C: Vielen Dank!
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Q&A zum Film WALPURGISNACHT anlässlich der Projektion als Vorfilm zu Robert Eggers THE VVITCH: A NEW-ENGLAND FOLKTALE auf dem 31. Internationalen Filmfestival Braunschweig am 21. Oktober 2017. Clemens Williges interviewte Patrick Müller (Filmemacher) und Uwe Rottluff aka WellenVorm (Komponist).
C: Patrick, du bist der Regisseur von WALPURGISNACHT. Häufig erlebe ich, wenn ich ins Kino gehe, dass die Verfilmung nicht viel mehr zu sein scheint, als eine simple Bebilderung für Leute, die zu faul sind, das Buch zu lesen. Bei dir habe ich das Gefühl, dass du ebenso stark vom Bild wie von der literarischen Vorlage her kommst.
P: Das stimmt. Die literarische Vorlage, das Gedicht WALPURGISNACHT von Theodor Storm, ist in den Werkausgaben des Autors nur sehr selten zu finden. Von Anfang an übte es eine ganz besondere Anziehungskraft auf mich aus. Als ich den Film plante, im Jahr 2013, nahte tatsächlich die Walpurgisnacht. Ich hatte damals den Prototyp der neuen Super-8-Filmkamera, die Logmar, zur Hand und experimentierte mit ihr. Dabei drehte ich nur mit verfügbarem Licht, ASA500-Material. Visuell deutet der Film oft nur an, manches ist sogar nur schemenhaft erkennbar. Zum Beispiel der Wolf, das Denkmal des letzten Wolfes in der Lausitz. Oder die zahlreichen Tiere, welche symbolisch für Hexerei stehen. Sie verlocken und verführen, so dass aus der Maid eine Dirne wird.
C: Uwe, du hast die Musik gemacht. Sie steht in einer Tradition wie die früheren Tangerine Dream. Das kommt mir zu Ohren dabei.
U: Es waren meine ersten musikalischen Gehversuche, dass ich mich an Tangerine Dream angenähert habe. Es hat aber einen eigenen Charakter, weil ich ein ganz besonderes Instrument bei diesem Stück eingesetzt habe. Es nennt sich Haken Continuum, ein Instrument mit einer Neopren-Oberfläche, und damit gleitet man mit den Fingern. Dadurch hört man diesen singenden Sound, welchen man nicht mit Klavier oder Tasteninstrumenten erreichen kann. Das ist ganz prägend für meine Musik geworden. Es ist das erste Stück, in dem ich es ganz exponiert eingesetzt habe. Es klingt etwas wie ein Theremin. Das ist übrigens ein Instrument, was Tangerine Dream noch nicht verwendet hat.
C. Das stimmt. Noch eine abschließende Frage: Vimeo und Youtube haben einerseits den Kurzfilm universell verfügbar gemacht, das heißt, man kann auch als wenig bekannter Künstler seine Werke veröffentlichen, während der Kurzfilm auf Festivals immer stärker verdrängt wird. Ihr beide seid ja Künstler aus Leidenschaft, habt aber einen ganz anderen Brotberuf. Ist es das Modell der Zukunft, dass man Kunst als leidenschaftlicher „Amateur“ machen muss?
P: Ich würde an dieser Stelle einfach David Lynch zitieren, der einmal jungen Filmemachern riet: „Sucht einen Beruf, der es euch erlaubt, genügend zu essen, zu trinken und zu schlafen, denn nur dann könnt ihr kreativ sein.“ Und dann legt einfach los.
C: Vielen Dank!